Lob des Rigorismus

Hannah Arendt wies angesichts der Erfahrungen aus dem nationalsozialistischen Deutschland darauf hin, dass Moral sich genauso leicht ändern könne wie Tischsitten. In einer neuen Interpretation der berühmt gewordenen Experimente von Milgram und Zimbardo (Stanford-Prison-Experiment) aus den 1960er und 1970er Jahren zeigen, die Psychologen Haslam und Reicher, wie dieser Wechsel vor sich gehen kann: Üblicherweise werden die Ergebnisse so gedeutet, dass Gehorsam und Autorität Menschen dazu anleiten, anderen Menschen Leid zuzufügen. Haslam und Reicher zeigen dagegen, dass gerade der Glaube, etwas Gutes und Sinnvolles zu tun, zu einem Moralwechsel führt (hier geht es zum Artikel). Denn für diese Ziele kann man ausnahmsweise auch mal moralisch problematische Handlungsweisen hinnehmen und ausführen.
Kants Ethik ist häufig der Kritik ausgesetzt, zu rigoros zu sein, keine Ausnahmen zuzulassen. Damit sei sie nicht nur lebensunpraktisch, sondern führe auch hin und wieder zu unmenschlichen Härten. Die vorliegenden Ergebnisse zeigen deutlich, warum Rigorismus in ethischen Fragen sinnvoll sein kann: Moral und Tischsitten sind eben deutlich zu unterscheiden.